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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Wer sich "Heiliger Vater" nennt, leistet dem Unglauben Vorschub.

(Nach Mt. 23.1-12; Ev. vom 31. So. im Jahreskreis A)

November 2011

Das Bild, welches der Evangelist von denen zeichnet, die auf dem Stuhl des Moses sitzen – es wird bei allen möglichen kirchlichen und weltlichen Veranstaltungen im Fernsehen übertragen. Sie tun alles, so heißt es, sich vor den Menschen zur Schau zu stellen. Sie haben breite Kleiderquasten um den Bauch; sie nehmen selbstverständlich die ersten und obersten Plätze für sich in Anspruch; auf den Straßen und Plätzen wollen sie gegrüßt werden: als Lehrer, Hochwürden, Excellenzen und Eminenzen, als "Heiliger Vater".

Den Menschen von damals und heute wird aufgetragen, alles zu tun und zu befolgen, was sie sagen. Aber ihrem Beispiel folgen – das sollen sie nicht. Sie sollen auch niemand von ihnen Meister, Lehrer oder Vater nennen. Denn es gibt für alle nur einen Lehrer und Meister: Christus. Es gilt auch nur der einzige Vater, der im Himmel ist...

Warum werden diese Titel als so bedenklich dargestellt? Offensichtlich, weil Menschen, die sie tragen, schnell in eine Rolle hineinschlüpfen können, die sie etwas sein lassen, was sie nicht sind – jedenfalls nicht das, was erhabene Titel zum Ausdruck bringen. Sie spielen sich selbst und anderen etwas vor. Sie erheben sich über das Menschliche hinaus – vielfach in demütiger religiöser Pose, um auf jeden Fall von vielen gesehen und beachtet zu werden. Auf der einen Seite rücken sie sich selbst in die Nähe Gottes, agieren "in persona Christi" und werden "Gottes Stellvertreter auf Erden" – auf der anderen Seite werden Menschen gesucht und gefördert, die in religiöser Unmündigkeit verbleiben: aufgefordert zu "Demut und Gehorsam"!

Der Evangelist entwirft dagegen die Utopie von Menschen, die unter sich "alle Brüder und Schwestern" sind. Wie kann diese Utopie gelingen? Denn im Grunde sind die Menschen in den niederen Rängen genauso wie diejenigen, die sich in der breiteren Öffentlichkeit als Autoritäten und "bessere Menschen" zeigen. Beispiele finden sich in nahezu allen Lebensbereichen: in Ehen, Familien, Parteien und Betrieben... Überall zeigen sich die "Alpha-Typen", ob sie es sind oder nicht. Sie wollen gern das große Wort führen, "die Hosen anhaben" und anderen überlegen sein, indem sie "mobben" und alle ausschalten, die ihnen ebenbürtig sind und ihren eigenen Ansprüchen zur Gefahr werden könnten.

In der Familie kann es der Mann sein, der gern den "Pascha" spielt. Oder auch die Frau, die mit Tränen und diplomatischem Geschick alles durchsetzt, was sie durchgesetzt haben möchte. Gewöhnlich sind obrigkeitliches und herrschaftliches Gebaren zum Nachteil des Anderen, besonders auch der Kinder, die gegenüber mächtigen Erwachsenen keine Nische finden, um sich zu selbstständigen und freien Persönlichkeiten zu entfalten. Schwerwiegend und folgenreich wird es, wenn die pädagogische Unfähigkeit von Eltern und Erwachsenen im sozialen Umfeld zu einer Blindheit führt, die es unmöglich macht, Kinder in ihrer jeweiligen Eigenart zu akzeptieren und entsprechend unterschiedlich zu fördern.

Der Drang nach Ansehen, Macht und Einfluss findet sich überall da, wo Menschen sind, wo sie miteinander leben und arbeiten. In der Unfähigkeit, die Utopie des Evangeliums über die Menschen überhaupt ernst bzw. in Angriff zu nehmen, können sich kirchliche und gesellschaftliche Konstellationen ergeben, in denen Dünkel und Ellebogen eine größere Rolle spielen als der Verstand, als biblischer Glaube, Mitmenschlichkeit und Verständnis füreinander.

Der Auftrag Jesu an seine Jünger und Zuhörer/Innen: Bei euch soll es nicht so sein; Ihr alle seid Brüder und Schwestern! Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. Wer der Größte sein will, der soll der Diener aller sein... Wie kann dieser Auftrag Wirklichkeit werden – als Gegenmittel gegen die "normale Triebhaftigkeit" des Menschen, die nichts anderes wissen und praktizieren will als Herrschen und Regieren.

Die Erfahrungen mit Menschen und Religionen lassen den Glauben kaum noch aufkommen, dass die Titel "Diener aller Diener" und "servus servorum Dei" ernst zu nehmende Faktoren sind. Aber wenn sich schon jemand so bezeichnet – was müsste er realistisch tun? Welche Zeichen und Verhaltensweisen müsste er setzen, wenn der Auftrag Jesu keine Luftblase für Sonntagsreden bleiben soll?

Ich stelle mir vor, dass das Ablegen allzu prunkvoller Gewänder das Erste sein müsste. Ebenso der Würde-Symbole aus Gold und Silber. Es sollte sogar der ungewöhnliche Fall möglich gemacht werden, dass bei öffentlichen staatlichen und religiösen Veranstaltungen der Bundespräsident, die Kanzlerin, die Minister und andere sich wichtig nehmende Persönlichkeiten die ersten Plätze einnehmen – dass die Vertreter der Kirche mit ihren "Dienstgewändern", mit ihren violetten und roten Farben auf dem Kopf bewusst die letzten Ränge besetzen. Das Ausziehen aus Residenzen und Palästen, das Zeugnis eines "einfachen Lebens", das Benutzen kleinerer Autos – alles das entspräche wohl dem Auftrag Jesu: Ihr seid dafür da, Zeichen für das Kommende zu setzen, statt den gegenwärtigen Götzen ergeben zu sein!

Wer sich de facto im Widerspruch zum Evangelium befindet; wer sich selbst zum Anwalt menschlicher Ambitionen macht, darf sich nicht wundern, dass sich der übrige Teil des christlichen Volkes primär an materiellen Werten orientiert, die Aufmerksamkeit und Ansehen versprechen. Im Evangelium ist nicht nur von Menschen die Rede, die wirtschaftlichen Interessen ergeben bleiben, sondern auch von einfachen Leuten, die in ihrem kleinen Lebensbereich das wahr machen, was gefordert wird: Es gibt nur Einen Lehrer, nur Einen Vater, nur Einen gemeinsamen Gott für alle. Demnach könnte sich am Ende der Zeit die für Mächtige und Reiche peinliche Situation ergeben, die da heißt: "Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten" (Lk 13.30). Und: "Viele sind berufen, wenige nur auserwählt" (Mt 22.14).


Letzte SeitenÄnderung: 09.11.2011.
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