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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

5. Leben als Steinbrucharbeit.

Deutsche Welle, 28. Okt. 1995.

Verehrte Hörerinnen und Hörer.

Von Mutter Teresa aus Kalkutta stammt das Wort: "Leben ist eine Herausforderung, stell dich ihr... Leben ist Sorge, überwinde sie... Leben ist Kampf, nimm ihn auf... Leben ist eine Tragödie, biete ihr die Stirn..."

Solche Gedanken und Erfahrungen über das Leben klingen nicht gerade wie feierliche Sonntagsmusik. Eher drücken sie illusionslosen Realismus aus. Der lateinische Dichter Vergil hat ihn schon vor 2000 Jahren auf die Formel gebracht: Die Dinge haben, so wie sie sind, ihre Tränen. Die Welt ist voll von Traurigkeit und Bitterkeit. Man kann den Enttäuschungen des Lebens nicht entfliehen. Wer es dennoch versucht, kommt vom Regen in die Traufe. Er würde sozusagen nur den Schauplatz ändern; das Drama selbst bliebe überall dasselbe.

Es scheint wie ein Kainsmal der Menschheit anzuhaften - wie ein unauslöschliches Siegel. Schon auf den ersten Seiten beschäftigt sich das Alte Testament mit der Frage nach dem "Warum?" des Elends und des Leids. Die Antwort, die es findet, lautet: Die ersten Menschen haben bereits gesündigt; sie haben sich den Plänen Gottes von Anfang an widersetzt, weil sie es immer schon besser wußten... Deshalb wurden sie aus dem Paradies vertrieben. Gott sprach zu Eva: "Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger bist. Unter Schmerzen gebierst du Kinder..." Und zu Adam sagte er: "So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln läßt er dir wachsen, und die Pflanzen des Feldes mußt du essen. Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden. Denn Staub bist du, zum Staub mußt du zurück" (Gen 3,16-19).

Man kann hinter einem solchen Fluch über die Menschheit einen unverzeihlichen, rächenden und masochistischen Gott vermuten. Korrekter jedoch ist es, das Selbstverständnis der Menschen von damals darin zu sehen. Schon am Anfang der Weltgeschichte machten sie die Erfahrung, daß die Dinge ihre Tränen haben. Ob man sich nun ins Kloster zurückzieht oder nicht; ob man im Operationssaal einer Klinik oder in der Großküche eines Hotels sich abmüht; ob man - wie Mutter Teresa - nach Kalkutta geht, um einen nahezu aussichtslosen Kampf für die Ärmsten der Armen zu führen - ganz gleich, wie und wo ein Mensch sein Leben fristet: die Dinge haben unausweichlich ihre Tränen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, wohin man fliehen könnte, um aller Probleme ledig zu sein.

Deshalb auch die uralte Erfahrung der Menschheit, die zugleich eine Aufforderung an alle ist: Sorgen müssen durchsorgt, Trauer muß ausgetrauert werden! Das Leben ist eine harte Steinbrucharbeit. Es ist durchsetzt von Krisen und Niederlagen. In solchen Zeiten geht es jedem so wie jenem Arbeiter, dem sein Werkzeug zerbrochen, dem das für seinen Beruf unverzichtbare Handwerkszeug abhanden gekommen ist. Wo Hoffnungen und Illusionen, Ideen und Utopien zerbrechen, da bleibt nur Eines: das Werkzeug wieder herzurichten, um wieder arbeiten zu können; wieder Boden unter die Füße zu bekommen, damit die Schritte und Tritte wieder gelingen.

Insofern werden Menschen immer wieder mit der Notwendigkeit zu einem neuen Anfang konfrontiert. Das geht dem unheilbar Kranken ebenso wie dem Behinderten; dem so oder so in Not Geratenen, dem Arbeits- und Obdachlosen... Auch Eheleute sind davon nicht ausgenommen, die dabei sind, ihre Gemeinschaft aufzulösen. Ebenso die angefochtenen Priester nicht, die alles hinschmeißen möchten. Da gibt es die vernachlässigten Kinder, die verlassenen Liebenden und die vereinsamten Alten...

Sie alle können - so oder so - in schlaflosen Nächten oder an sinnlosen Tagen zur Beute einer Panikstimmung werden. Ihre verzehrenden Sorgen, ihr nagender Kummer, ihre bohrende Pein können sie zu Fluchtbewegungen veranlassen: heraus aus dem Leben, heraus aus dem Alltag, heraus aus der Welt! Wenn auch nicht hinein in den Tod, so doch hinein in Illusionen, in weltabgewandtes Schwärmertum, in die Einsamkeit der Wüste und Beziehungslosigkeit, die anscheinend alles vergessen machen. Nur nicht mehr zurück in die banalen Niederungen des Alltags!

Und doch lebt uns Mutter Teresa beispielhaft vor, in jeder Krise eine CHANCE zu erkennen: "Leben ist ein Traum, verwirkliche ihn... Leben ist ein Versprechen, erfülle es... Leben ist ein Abenteuer, wage es..."- Im morgigen Evangelium begegnet uns die Gestalt des Zöllners, der die ehrliche Erfahrung gemacht hat, daß nichts im Leben Anlaß zu Selbstbetrug und Selbstüberzogenheit sein kann. Alles Menschliche bleibt immer nur sehr begrenzt, fehlbar, bruchstückhaft. Deshalb kann er mit dem Bewußtsein aus dem Tempel gehen, daß erniedrigt wird, wer sich selbst erhöht; daß erhöht wird, wer sich selbst erniedrigt. Denn da ist noch einer mitten im Leben, der Unerlöstes zu erlösen vermag (vgl. Lk 18,9-14).


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