www.fritz-koester.de
Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Worauf es ankommt, worum es geht.

undatiert

  1. Es geht um einen "neuen Geist" (vgl. Ez 18,31;11,19;39,29;13,3...), um ein neues Denken, was der Überwindung des "alten" gleichkommt. Dieses bestand darin, daß jahrhundertelang theologisch höchst qualifiziert gearbeitet wurde, daß die "Lehre der Kirche" eine nahezu lückenlose Systematik erfuhr, die in der Lage zu sein schien, auf alle Fragen des Lebens christlich-adäquate Antworten geben zu können. Seine Vorteile waren das hohe intellektuelle Niveau wie die nahezu unerreichbaren hohen moralischen Ansprüche.

    Seine Nachteile zeigen sich heute darin, daß das Leben von konkreten Menschen, ihr eigenständiges Denken, ihre selbstverantwortete Lebensführung draußen vor der Türe bleiben - Nachteile, die durch caritative und soziale Aktivitäten nicht aufgehoben, sondern eher verstärkt (weil verdrängt) wurden. Zudem hat die kirchliche Lehre - im wachsenden Bewußtsein heutiger Menschen - eher dazu gedient, einer bestimmten akademisch geschulten Schicht, einer Hierarchie bzw. Oligarchie von Nutzen zu sein, dagegen die große Masse des gläubigen (früher allerdings analphabetischen) Volkes in Gehorsam und Untertänigkeit ins Schlepptau zu nehmen, seit der Reformation unter dem bezeichnenden Motto: Cuius regio, eius religio.

    Was früher "massenhaft" nicht möglich war, wird heute zu einem auffälligen Phänomen: die Menschen (schon immer draußen vor der Tür des eigentlichen kirchlichen Geschehens) wenden sich ab und bringen die Freiheit und die Eigenentscheidung auf, sich bis in den religiösen Innenraum hinein zu verselbständigen, zu individualisieren oder in eigenen freien Gruppen neu zu organisieren. Das eigentliche Drama der heutigen Zeit, "die Kluft zwischen Evangelium und Kultur" (wie es Papst Paul VI. beschworen hat), nimmt so seinen vollen Lauf. Kirchlich gesehen ist kein Horizont in Sicht, wie diese Kluft behoben werden kann. Im Sinne David Humes, Max Webers, Franz Rosenzweigs und vieler anderer ... und in erster Linie im Sinne des Evangeliums muß das neue Denken sich wieder auf konkretes Leben einzustellen und es aktiv einzubeziehen lernen. Menschen dürfen nicht mehr als "Objekte" kirchlichen Handelns pastorisiert werden, sondern als Subjekte und Träger des Geschehens, wozu (synodale) Strukturen notwendig sind mit eigenen Befugnissen und Kompetenzen, wie sie auch sonst den Menschen in Lebens- und Glaubenserfahrungen zuwachsen.
     
  2. Es geht um die Reich-Gottes-Nähe der Predigt Jesu und nicht (primär) um Kirchen und Konfessionen. Während die Staatskirche seit Konstantin und die Zwei-Stände-Kirche des Mittelalters jahrhundertelang alles daran setzte, sich zu etablieren und auszubreiten, sich je nach Amt und Würde Privilegien und Freiheitsräume zu schaffen, sich der Welt als "societas perfecta" und als eine Heilsanstalt anzubieten, ohne die es kein Heil gibt, wird es im nächsten Jahrtausend eine Lebens- und Überlebensfrage sein, ob und wie die Reich-Gottes-Nähe , Hauptanliegen Jesu, in Rede und Tat wieder zum Zuge kommt. Wenn auch verbal als identisch vorausgesetzt, ist die Reich-Gottes-Ethik  Jesu nicht identisch mit der KirchenEthik der vergangenen Jahrhunderte. Dieser ging es primär um dogmatische Klarstellungen und kirchenrechtliche Festlegungen, um die Strukturierung und Konstituierung von "Kirche", um die Möglichkeit der Initiation und Sozialisation möglichst vieler in diese Kirche, um Sakramentenspendung, Predigt und Verkündigung - weitgehend Monologe und Einbahnstraßen denen gegenüber, die "Hörer" und "Befolger" des Wortes sind.

    Unter der Wirkung der Predigt Jesu von der Reich-Gottes-Nähe  geschah in der ersten christlichen Zeit etwas überwältigend Neues; es herrschte eine andere Gewichtigkeit. Die Zusammenkünfte der Christen - nach dem Schock des Karfreitags und nach dem Ostermorgen - gestalteten sich als Erinnerungsgemeinschafen. Sie erinnerten sich gemeinsam (und unterschiedlich) an all das, was Jesus in konkreten Lebenssituationen beispielhaft gesagt und getan hatte. Weil es heilsam und erlösend für alle Beteiligten gewesen war, versuchten sie, menschennah und situationsbezogen zu denken und zu handeln wie Er - als Nachfolgegemeinschaften, die die "Praxis Jesu" stets auf den Punkt zu bringen versuchten. "Licht der Erde", "Salz der Welt" sein. So verstanden sie ihren Auftrag. Dabei glaubten sie alle gemeinsam - Jünger, Apostel, Männer und Frauen - , nur Ihm, dem einen Herrn und Meister gegenüber, im Gehorsam verpflichtet zu sein. Als Gehorsmsgemeinschaften lernten sie, auf die Aufgaben und Herausforderungen des Augenblicks Antwort zu geben, indem sie dabei entdeckten, was an Kraft, Begabung und (ergänzungsbedürftiger) Grenze in ihnen und anderen steckte. So konnten sie auch Tisch- und Hoffnungsgemeinschaften werden, zumal sie eine Zukunft vor sich sahen, die im Jetzt beginnend ohne Ende ist.
     
  3. Es geht um das Wesen des Christentums. Ist es eine kirchliche Lehre, die im wachsenden Bewußtsein der Leute schnell durch andere Lehren in Frage gestellt werden kann? Ist es ein Anspruch auf Absolutheit, der aus geschichtlicher Erfahrung alternative Absolutheitsansprüche auf den Plan ruft und denen im Gefolge kämpferische Auseinandersetzungen, ideologische Entzweiungen unter den Menschen, Verfolgungen, Inquisition und Religionskriege brutalster Art - heute allerdings äußerlich überwunden durch wachsende gegenseitige Akzeptanz und Freundlichkeit? Ist es ein Unfehlbarkeitsanspruch, der sich allzu häufig als "fehlbar" erwiesen hat und erweist, weil alles noch so Absolute dem Wechsel der Geschichte und der Begrenztheit menschlichen Fassungsvermögens und Unberechenbarkeit unterworfen bleibt und deshalb immer nur "relativ" begriffen werden kann? Ist es eine Ämter-Hierarchie, die juridisch und theologisch genau zu wissen vorgibt, wer von Gott für welche Ämter und Aufgaben berufen ist - also Menschen nach theologischer Ausbildung, Alter und Geschlecht unterscheidet, diese also doktrinär einstuft und einordnet und dabei völlig übersieht, daß das Wirken des Geistes Gottes in Menschen und in der Geschichte kirchenpolitisch an die Kette gelegt wird, weil auch Gott nicht wirken kann, was er kirchenrechtlich nicht wirken darf - mit der vielleicht verheerendsten Konsequenz in unseren Tagen: das Verfehlen der "Zeichen der Zeit"!?

    Es geht darum, das Wesen des Christentums wieder zentral als konkrete geschichtliche Person zu begreifen, die einen Lebensstil, eine Lebensform, eine Lebensmeisterung, einen Lebensentwurf im Sinne und im Namen Gottes - sogar über den Tod hinaus - vorgelegt hat, der für alle Menschen und alle Zeiten modellhaft und exemplarisch ist und bleiben wird. Seitdem macht das Christentum als Nachfolge-Gemeinschaft eine möglichst große Vielfalt von Lebensformen notwendig, die der Welt deutlich vor Augen zu führen versuchen, was es heißt: Mensch und Christ zu sein und dieser Berufung sogar treu zu bleiben bis in den Tod. Seine Vielfältigkeit ergibt sich aus der Vielfalt der Menschen, ihrer Begabungen und Grenzen, ihrer Sprachen und Kulturen. Sie macht sogar unterschiedliche theologische Denkprozesse und "Liturgien" möglich, ohne seine Einheit zu sprengen. Denn diese besteht in der gemeinsamen Ausrichtung auf den, der in seine Nachfolge beruft und zum Tun dessen aufruft, was er als "Sohn Gottes" authentisch vorgelebt hat: die Liebe als menschenbezogenes und situationsgebundenes exemplarisches Handeln, welches Gesetz und Propheten, theologische Lehrsysteme und moralische Postulate nicht aufhebt, aber erfüllt und vollendet (vgl. Röm 13,7f; 1Kor 13).


Letzte SeitenÄnderung: 08.03.2005.
Bitte beachten Sie meine Nutzungsbedingungen.