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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Seelsorglicher Aufbruch in der Stadt: Ein Lesebuch nicht nur für die City-Kirchenarbeit. Nehmt Neuland unter den Pflug (Hos 10.12).
Mein Beitrag: Option für die Armen – auch für das Leben in der Stadt von heute?
Eine biblische Antwort.

Dialogverlag Presse- und Medien Service GmbH; ISBN-13: 978-3941462014
(auch im Rheinischen Merkur Nr. 34/2008 erschienen. Titel: Ein Schlag ins Gesicht.)

1. Option für die Armen?

Eigentlich bin ich immer ein wenig skeptisch, wenn ich das Wort höre: "Option für die Armen". Dennoch kann ich dessen Richtigkeit kaum bestreiten. Aber zunächst hört es sich so an wie: es gibt eine Polarität zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Gebern und Empfängern, zwischen Sprachmächtigen und Sprachlosen, zwischen denen, die sich als hilfsbereit und mildtätig erweisen und denen, die so oder so Hilfe und Unterstützung erfahren. Eine biblische Sicht der Verhältnisse ist dies zunächst nicht, sondern eher eine kirchliche und caritative. Diese kann sich leicht dem Verdacht aussetzen, dass bestimmte Menschen und Verbände froh sind über die Tatsache der Armut und des Elends in der Welt. Denn nur so kann christliche Mildtätigkeit ihre Berechtigung unter Beweis stellen. -

Die biblische Antwort ist umgreifender, umfassender. Jesus hat auch Barmherzigkeit geübt, er hat sich auch für die Armen und Entrechteten eingesetzt, er hat auch die Hungrigen gespeist und den Nackten Bekleidung gegeben. Aber für ihn waren die Armen nie nur "Objekte" und "Empfänger" gütiger Wohltaten. Die Barmherzigkeit an den Armen hatte das Ziel der Heimholung jedes Menschen in das universale Heilsgeschehen Gottes mit der Welt. Weil besonders betroffen von der Unerlöstheit und Sündhaftigkeit der Welt, sollten gerade die Armen und Entrechteten Subjekte und aktive Mitgestalter werden am Heilsgeschehen Gottes, welches die ganze Schöpfung umfasst (vgl. Röm 8.18-30).

Jesus stellt damit das Denken der damaligen Zeit auf den Kopf. Damals waren die Frauen und Sklaven/Innen ganz für die "freien Herren" da. Sie hatten ihnen in allem zu dienen. Jesus macht sich im Gegensatz dazu zum Diener aller. Und fordert alle zum Dienen auf, nicht nur die Frauen und Sklavinnen. Er selbst fängt damit an. "Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben" (Mk 10.45).

Als Jesus dreimal sein Leiden ankündigt, muß er gegen das Unverständnis seiner Jünger kämpfen, gegen ihre Machtträume und ihr Herrschaftsdenken. Die Brüder Jakobus und Johannes, sicher auch die anderen, wollen zu seiner Rechten und Linken sitzen… Petrus wird wegen seiner Protesthaltung sogar "Satan" genannt. Dagegen verweist Jesus auf die Macht- und Hilflosigkeit eines Kindes…(vgl. Mk 8.31-10.45).

Wie es den "Herren der Schöpfung" enorm schwer fällt, sich zu den Verhaltensweisen Jesu zu bekehren, so auch allen, die zur "aktiven Teilhabe am Heilsgeschehen Gottes" berufen sind. Sie können auf Abwege geraten. Sie können in ihrer Lebensbiographie elendig scheitern. Sie können – wie der verlorene Sohn – schnöde das eigene Vaterhaus, Heimat und den Wurzelgrund ihres Lebens verlassen, um irgendwo in einem Schweinestall zu landen. Ähnliche "Lebensbrüche" hatten ja auch die ersten Menschen bereits verschuldet: Adam und Eva, Kain und Abel… Man könnte sie "Unfälle" nennen in einer an sich gut gemachten Schöpfung. Solche "Unfälle", die dem Schöpfungsauftrag Gottes nicht gerecht werden, gibt es unzählige bis auf den heutigen Tag. Die Bibel verschweigt sie nicht: die Sünderin, den dreimaligen Verrat des Petrus, die zweifelnden Anfragen des Thomas, den Stolz und die unbekehrbare Arroganz der Schriftgelehrten und Pharisäer… Jesus hat alles getan, um "Abwegigkeiten" beim Namen zu nennen, damit Menschen zu dem zurückkehren, wozu sie geschaffen und berufen sind.

2. Stolpersteine auf dem Weg zur "Würde des Menschen".

Solche "Rückkehr" ist leichter gesagt als getan. Wer aus irgendwelchen Gründen auf der Straße gelandet ist; wer in Parks und unter Brücken seine Tage und Nächte verbringt; wer allzu schnell zur Flasche greift und in Drogen Selbstvergessenheit sucht, wer dauernd auf der Flucht ist vor sich selbst, weil er sich selbst nicht auszuhalten vermag – wie könnte dem "Rückkehr", "Umkehr" verständlich gemacht werden, zumal er sich oft für ein solches Leben entschieden oder sich damit abgefunden hat?

"Sozialarbeiter", die um die Armen bemüht sind, müssen sich davor hüten, in eine Art "Helfersyndrom" zu verfallen, was für den Bedürftigen eher als eine neue Demütigung und Entwürdigung verstanden wird im Sinne: Ich bin ja nichts, ich kann ja nichts! Heute wird zudem immer mehr deutlich, dass die Hilfe für den einzelnen eine soziale Dimension bekommt. Der einzelne Bedürftige wird zu einem Appell und Aufruf an die Umwelt, die Weichen so zu stellen, dass würdiges Leben für alle möglich wird. Spätestens seit Jesus Christus sind alle Menschen in die Entscheidung gestellt zwischen gut und bös, zwischen Gott und den vielen Göttern. Sie heißen in heutiger Zeit: Mobbing um des eigenen Vorteils willen, Karriere, Geld, Macht, Einfluss und Überlegenheit um jeden Preis… Das Bemühen um das Wachsen des Weizens in jedem Menschen ist immer mit der Angst und Besorgnis verbunden, dass das Unkraut des Bösen den Weizen ersticken könnte.

Dass der Weizen des Guten auf vielfältige Weise erstickt wird, zeigt allein die heute herrschende und alles beherrschende "Ideologie von Geld und Körper". Sie hat dazu geführt, dass es gegenwärtig weltweit ca. 400 Multi-Milliardäre gibt, die weit mehr als die Hälfte des Reichtums der ganzen Erdbevölkerung besitzen. Die ärmsten 20% der Weltbevölkerung haben in den letzten dreißig Jahren einen Einkommenseinbruch erlebt. Ihr Anteil am Welteinkommen ging von 2.3% auf 1.4% zurück. In den 6o-ger Jahren verdiente die Gruppe der Reichsten etwa 30x so viel wie der Durchschnitt der ärmsten 20%. Bis zum Jahr 1996 hat sich der Anteil der "Besserverdienenden" auf das über 60-fache gesteigert – eine Tendenz, die bis heute niemand zu stoppen vermag.

Der übertriebene Reichtum der wenigen und die barbarische Armut der vielen signalisieren nichts anderes als den immer tiefer werdenden Graben zwischen reich und arm weltweit. Er zieht sich bis in die einzelnen Staaten, Städte und Kommunen. Der Innsbrucker Sozialethiker Herwig Büchele sieht eine Epoche der "Ausgrenzung" breiter, weniger wohlhabender Bevölkerungsschichten heraufziehen. Die davon betroffen sind, schätzt er auf bis zu 50% einer jeweiligen Bevölkerung.

"Ausgrenzungsmechanismen" sind aber nicht nur Folge von materieller Armut. Es geht um zutiefst menschliche Probleme. Wenn Menschen in einigermaßen normalen Verhältnissen geboren und aufgewachsen sind, suchen sie nach einer Möglichkeit, ihre geistig-seelisch-körperlichen Fähigkeiten zu entfalten – ein Prozess, der in sehr früher Kindheit bereits beginnt. Je mehr das gelingt, desto größer wird auch der Wunsch, die individuelle Kompetenz in kulturelle, gesellschaftliche und kirchliche Prozesse mit einzubringen. Menschen, die lernbereit, interessiert und leistungsfähig sind, wollen etwas leisten, durch Anerkennung sich selbst bestätigt finden. Dadurch wird ihnen menschliche Würde nicht nur verbal zugestanden, sondern menschliche Würde erfahrbar und glaubwürdig gemacht.

Eine Gesellschaft, in der der Faktor Geld, materielle Potenz, Macht und Einfluss die Hauptanliegen sind; in der es nicht mehr darauf ankommt, dass möglichst viele Menschen die volle Unterstützung zur Entfaltung aller ihrer Fähigkeiten bekommen, sagt viel aus über die marode geistige Verfassung ihrer Kultur. Wo der schnöde Mammon regiert, wird der Werteverlust zu einem Skandal. Der Mensch wird zum funktionierenden Rädchen in einer Gesamtmechanik, welches zu jeder Zeit ausgewechselt werden kann. Darin zeigt sich, dass sich der Glaube an das reine Wachstum als ein Irrweg erweist. Wo Menschen zerstört werden, da zerstört eine Gesellschaft sich selbst.

Jeder Arme – ebenso wie die weltweite Armut – werden lebendige und hartnäckige Erinnerungen an die Irrwege, die die Menschheit geht. Jeder geistig oder materiell Arme ist ein Schlag ins Gesicht einer Gesellschaft, die sich als modern, emanzipiert und entwickelt bezeichnet. Weltweite Armut kann schneller als erwartet zu einer "sozialen Bombe" werden, die die ganze Menschheit gefährdet. Wird es dem Egoismus der Mächtigen und Einflussreichen gelingen, sie rechtzeitig zu entschärfen? Aber nicht nur auf sie dürfen sich die vielen anderen verlassen. Überall da, wo geistige und materielle Armut überwunden wird, ist dem Frieden in der Welt gedient. Er fängt in jeder Familie und Kommune an. Wo Menschen ein Stück ihrer Würde erleben, finden oder wieder finden, geht das Wort Jesu in Erfüllung: "Was ihr für einen meiner Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25.40). Da bin ich mitten unter Euch!

3. Die Option der Armen – leben vom Brot allein? (vgl. Mt 4.4).

In rein wirtschaftlich orientierten Kreisen herrscht oft der Glaube vor, dass das materielle Wachstum und die Steigerung des Einkommens gleichzeitig die Stärkung menschlicher Fähigkeiten und den Sinn für Werte nach sich ziehen. Deren Motto könnte lauten: je mehr es dem Menschen materiell und gesellschaftlich gut geht, desto mehr wachsen ihm menschliche Fähigkeiten und Qualitäten zu. Leider ist dem nicht so. Materiell und wirtschaftlich gut gestellte Wohlhabende können geistig sehr unterentwickelt sein. Oft sind sie es: in ihrem Verhalten egoistisch-brutal, asozial und engstirnig, fachidiotisch und unbedarft in kulturellen wie weltanschaulichen Fragen. Umgekehrt können materiell Arme große menschliche Fähigkeiten und Erfahrungswerte in sich verkörpern. Als "Schätze im Acker" – wie kann man sie bergen?

Das zeigen auch Untersuchungen über die Prioritäten der Armen. Neben höherem Einkommen und Verdienst sind ihnen noch viele andere Dinge wichtig: eine angemessene Ernährung, Zugang zu sauberem Wasser, bessere medizinische Versorgung, Schulen für Kinder, bezahlbare Transportmöglichkeiten, angemessene Wohnungen, gesicherter Lebensunterhalt, produktive und befriedigende Beschäftigung…

Auch weniger materielle Aspekte haben einen hohen Stellenwert: Zu ihnen gehören: Freizügigkeit, freie Rede und Freiheit von Unterdrückung und Ausgrenzung, Gewaltlosigkeit und Ächtung jeglicher Ausbeutung. Die Menschen wollen so oder so einen Sinn für ihr Leben finden. In Gemeinschaft mit Gleichgesinnten wollen sie Anerkennung erfahren und einen gewissen Einfluss ausüben. Jeweils aus einer anderen Familie oder Umgebung kommend, sind ihnen doch wichtig, was sie im früheren Leben erfahren oder vermisst haben: sozialer Zusammenhalt, das Recht auf die Wahrung eigener Traditionen und kultureller Werte.

Und die Religion? Oft ist ihnen nicht bewusst, dass gerade in den Religionen, speziell in der Predigt Jesu, die Armen und Entrechteten eine wegweisende Rolle spielen. Vieles im Alten und Neuen Testament erscheint wie ein Kontrastprogramm zu dem, was sich in den menschlichen Köpfen und Vorhaben abspielt. Es zielt in die Mitte dessen, was der Mensch im Plane Gottes zu sein und zu gestalten hätte, wenn er seine Rolle finden würde. Es gibt aber auch Antwort auf die Frage, wie Gott zu den Menschen kommt. "Wenn wir wissen wollen", schreibt Helmut Gollwitzer, "wie Gott kommt, dann darfst du nicht nach oben schauen, dann musst du nach unten schauen. Wenn du wirklich wissen willst, dann musst du dort hinschauen, wo verachtete Winkel sind, wo marginalisiert wird, wo ausgestoßen wird, zu den schlimmsten untersten Ecken, da unten ist Gott. Getreten, machtlos, liebend kommt er von ganz unten her". -

4. Armut als Folge von verantwortungsloser Besitzgier.

Ein beispielhafter Text findet sich im Lukasevangelium (16.19-31). Da ist vom reichen Prasser und vom armen Lazarus die Rede. Der eine ist ein Weltmensch, der Tag um Tag an nichts anderes denkt als in Freude und Wohlstand zu leben. Der andere liegt vor der Tür des Reichen. Sein Körper ist von Geschwüren bedeckt. Er hat Hunger. Aber niemand gibt ihm von dem, was unter den Tisch des Reichen gefallen ist…

Das Evangelium legt die Betonung auf die Tatsache, dass der Reiche ein gläubiger Jude war. Als es in der "Unterwelt" darauf ankommt, seine Schmerzen zu lindern oder wenigstens seine Brüder warnen zu lassen, die offensichtlich in ähnlichem rücksichtslosen Luxus leben wie er früher, ruft er Abraham um Hilfe an. Die Hilfe wird ihm nicht gewährt. Denn wer im Leben nicht auf Moses und die Propheten gehört hat, darf im Tod nicht auf Tröstung hoffen…

Die Tatsache, dass der Reiche zu Lebzeiten einen großen Anteil an Gutem und Lazarus an Schlechtem erlebt hat, klingt wie eine rachsüchtige Umkehr der Verhältnisse. Ein rachsüchtiger Gott also, der den Reichen bestraft und den Armen belohnt? Sicher nicht. Das Evangelium will deutlich machen, dass die Verachtung der Armen einer Verachtung Gottes gleichkommt, auch von Menschen, die sich als "gläubig" verstehen. Deshalb muß sich der Reiche zu den Armen bekehren, indem er auf die Propheten hört – jene Propheten sind gemeint, die schon in früheren Zeiten als große Mahner für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit aller gekämpft hatten (z.B. Micha, Jesaja im 8. Jh. v. Chr.)

Der Hinweis auf die Propheten enthält Reflexionen darüber, wie Menschen zur Umkehr bewegt werden können: nicht dadurch, dass ein von den Toten Erweckter zu ihnen kommt; nicht durch "Events" und spektakuläre Ereignisse; nicht durch Wundersucht und spiritistische Praktiken, sondern nur dadurch, dass Menschen ihre Verantwortung vor Gott begreifen und um die Vergeltung Gottes wissen – eine Wahrheit, die in der Bibel immer wieder eingeschärft wird. Für Christen ist es eine Mahnung, nicht auf äußere Erscheinungen und Selbsttäuschungen zu setzen, sondern zu lernen, dass der eigentliche Gottesdienst der Dienst am Menschen ist und dass sich die Liebe zu Gott in der Liebe zu den Armen bewährt.

Von einem anderen "Lebemenschen" ist bei Lukas 12.16-21 die Rede. Ein reicher Mann baut immer größere Scheunen, damit er seine guten Ernten unterbringen und speichern kann. Nachdem er viele Vorräte angehäuft hat, fühlt er sich für die Zukunft in Sicherheit. Er nimmt sich vor, viele Jahre im Reichtum zu leben, zu essen und zu trinken, sich seines Lebens zu freuen. Aber es kommt anders als gedacht. Noch in derselben Nacht wird ihm sein Leben von Gott zurückgefordert. "Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast? So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist". –

Die Quintessenz solcher Texte lautet: Niemand kann mit all seinen Sorgen sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern! (vgl. Lk 12.25). Auch mit seinen Reichtümern nicht. Deshalb immer wieder die Aufforderung: Hört auf die Propheten!

In unserer heutigen Situation ist in den Medien regelmäßig von dem Reichtum der Manager und Firmenbosse die Rede. Die einen bekommen Abfindungen in Millionenhöhe; andere verdienen im Jahr mehr als hundert Millionen; im Handel mit Zinsprodukten werden mehr als sechs Milliarden Euro im Jahr erzielt. Von Spitzensportlern weiß man, dass sie Millionen verdienen – vor allem auch durch ihre Werbung für Sportschuhe und Trikots. Eine Näherin für Sportartikel dagegen, Mutter von vier Kindern, erhält im Monat 180 Euro – die Überstunden eingerechnet. Es gäbe noch über zahlreiche andere "Fälle" zu berichten…

Die beschämende Kluft zwischen den Reichen und Elenden gab es schon zur Zeit Jesu; sie wird bis ans Ende der Zeiten andauern. Aber auch die Verantwortung vor Gott wird bleiben. "Die Armen habt ihr immer bei euch", sagt Jesus (Mk14.7). Das heißt: die Armen bleiben ein wesentlicher Faktor und Glaubwürdigkeitstest für jeden, der sich "gläubig" nennt. Vielleicht sind die gierig Reichen am wenigsten in der Lage, diesen Test zu bestehen. Aber auch von Menschen, die immer noch wohlhabender sind als andere, ist der Satz Jesu zu bedenken: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich" (Mt19.24).

5. Hilfsbereite Menschen sind immer unter uns.

So wie es die Armen immer gibt, so, Gott-sei-Dank, auch immer hilfsbereite Menschen. Oft erlebt man sie in kleinen und unauffälligen Handreichungen des Lebens. Gott-sei-Dank gibt es aber auch nicht nur skrupellose Manager und ausbeuterische Unternehmen. Es gibt auch Wohlhabende, die im besten Sinne des Wortes verantwortlich handeln, die Stiftungen ins Leben rufen und caritative Unternehmungen unterstützen; die als Entwicklungshelfer und "Ärzte ohne Grenzen" den Ärmsten der Armen zur Seite stehen. Wenn solche Menschen eines Tages – ganz gleich welcher Religion, Konfession oder Weltanschauung sie sind – zur "Rechten Gottes" sitzen, weil sie Hungrige gespeist, Durstigen zu trinken gaben, Nackte bekleideten und Obdachlose aufgenommen haben (vgl. Mt 25.31-46), dann wird ihnen der Lohn deshalb zuteil, weil "Gottesdienst" für sie keine Flucht geworden ist vor dem Dienst am Menschen. Sie haben nicht nur "Herr, Herr" gebetet, sondern den Willen Gottes getan (Mt7.21). -

Was haben die Menschen eigentlich davon, wenn sie den Willen Gottes tun? Welche "Vorteile" ergeben sich aus ihren guten Taten? Zunächst kann man ihnen nur die Erfahrung wünschen, die viele machen: dass das Gute, was sie tun, auf sie zurückfällt im Sinne von "Wer Gutes tut, wird im jetzigen Leben schon Gutes ernten", d.h. Freude, sinnvoll erlebte Tätigkeit, Dankbarkeit, Wohlwollen und Freundschaft mit denen, denen gegenüber sie sich "solidarisch" gezeigt haben, als es darum ging, in einer konkreten Lebenslage einfach da zu sein.

Es gibt immer wieder christliche Stimmen, die im ethischen Handeln aus dem Glauben heraus die Gefahr eines bloßen "Horizontalismus" erkennen. Ihnen fehlt das Reden über Gott, über das Mysterium Gottes, über Spiritualität, Gebet und sakramentale Frömmigkeit… Natürlich hat das Alles seine Berechtigung. Im Evangelium ist jedoch am wenigsten von solch großen Worten und Anliegen die Rede. Moses, die Propheten, Jesus… gingen von der Tatsache aus, dass ins "gute Werk der Schöpfung Gottes" schon sehr früh "Sand ins Getriebe" gekommen ist: durch den Ungehorsam von Adam und Eva, durch den Brudermord Kains an Abel…

Seitdem können wir Christen uns die Welt vorstellen wie eine gigantische Baustelle, an der es immer etwas zu tun, zu "reparieren", zu "erlösen" gibt. Dazu ist jeder Mensch so oder so aufgefordert, jeder an seinem Platz. Es kommt nicht darauf an, welche Rolle jemand im Leben spielt, ob mit viel oder wenig Einfluss und Macht. Aber dass jeder seine Rolle findet, in Liebe und Gerechtigkeit seinen Beitrag leistet – darin besteht die Verantwortung jedes Einzelnen. Dabei steht nicht jedes Tun isoliert für sich, sondern in einem heilsgeschichtlichen Zusammenhang, bis alles seine Vollendung findet im Reiche Gottes. In der Vater-unser-Bitte "Dein Reich komme" steckt nicht der Gedanke, dass Gott den Komfort will, sondern die Fülle des Lebens für alle.


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