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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Ansichten eines Außenseiters (VI):
Der Glanz des Papstes und das Elend der Kirchen.

September 2006

Bayern lebte im Monat September und viele Wochen davor wie in einem Ausnahmezustand. Schließlich hatte sich der Papst angekündigt: der berühmteste Sohn seiner bayerischen Heimat. Überall war das Bild des Papstes zu sehen: in den Medien, auf Litfasssäulen, auf Bierdeckeln und Bierflaschen, auf T-Shirts, in Schaukästen und auf den üppig florierenden Devotionalienmärkten.... Religion scheint, durch die medial wirksamen Auftritte der Päpste seit ca. 30 Jahren, immer mehr zu einem Gesellschaftstrend zu werden. Die Zeit, in der Religion als Privatsache galt, scheint vorbei. Medien und Publikum spielen dabei eine maßgebliche Rolle. Im Sog erfolgreicher Happenings verändern sich beide. Sie gewöhnen sich an die großen religiösen Effekte und verlangen immer größere. Während die einen über das neue Ansehen der Religion triumphieren, macht es anderen Angst. Denn alles ist hektisch, oberflächlich, kurios, triumphal... Geht es wirklich um "Religion"? Oder geht es einfach nur darum, bei Massenereignissen dabei zu sein? Erlebt Religion eine wirkliche Renaissance? Oder folgt sie einfach dem Drang zur Popularität, folgt sie den Mächtigen des Marktes?

1. Ein feudales System produziert seinen Glanz und seine Bewunderer.

Josef Ratzinger hat vor seiner Wahl zum Papst in "Dominus Jesus" die Aufsehen erregende Auffassung vertreten, eigentlich könnte sich nur die Kirche Roms "Kirche" nennen – alle anderen nicht oder nur im abgeleiteten Sinne. Er begründete seine Auffassung mit der "Apostelnachfolge" durch die Päpste und Bischöfe; durch die ununterbrochene Tradition des Lebens und der Lehre...

Die anderen Kirchen haben daraufhin einen Sturm des Protestes entfaltet. Natürlich nennen sie sich "Kirche" und wollen es sein. Bei solchem Streit stellen sich die Fragen: Wer darf sich mit Recht so nennen? Was ist "Kirche" im ursprünglichen Sinne? Kann sich im ursprünglichen Sinne die Kirche Roms berechtigter "Kirche" nennen als die anderen? Sind andere vielleicht sogar mehr "Kirche" als die von Rom?

Solche und ähnliche Fragen stehen im Raum, zumal sich nahezu alle Kirchen auf ihren biblischen Ursprung besinnen. In jener Zeit war "Kirche" zunächst nichts anderes als die Versammlung von Christen, die sich gemeinsam darauf besannen, welches ihre Aufgabe und Rolle in der Welt sein müsse. Jesus war gestorben und auferstanden. Er hatte keine schriftlichen Dokumente hinterlassen. Die ursprüngliche Auffassung von der "Naherwartung", d.h. von der baldigen Wiederkunft Christi noch zu Lebzeiten der ersten Christen, schwand dahin. So mussten sich die Anhänger Jesu auf eine neue Zeit einrichten. In ihren Versammlungen taten sie es auf dreifache Weise:

Erstens erinnerten sie sich gemeinsam an das Leben, die Worte und Taten Jesu, die mehr oder weniger alle mit einer neuen Lebensführung in Liebe und Gerechtigkeit zu tun hatten. Sie glaubten zweitens an ihren Auftrag der Fortsetzung der Worte und Taten Jesu – zum Heil und Frieden in der Welt und zum Wohl der Menschheit. Sie waren sich drittens darüber einig, dass Jesus mit seinem Geist und Segen immer bei ihnen bleiben würde – bis zum Ende der Welt. Im gemeinsamen Mahl feierten sie diese Anwesenheit Gottes in ihrem Leben und Wirken, so wie Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hatte.

Von "Kirche" war eigentlich nur, wenn überhaupt, nur indirekt die Rede. Die Versammlung war nicht Selbstzweck, sondern Hilfe und Mittel für alle, die ihrem Auftrag gerecht werden wollten. Das änderte sich entscheidend, als im 3. und 4. Jahrhundert die römischen Kaiser die Option der Christen als zukunftsträchtig für ihre eigenen politischen Ambitionen ansahen. Die Kirche selbst wurde dabei immer mächtiger und einflussreicher. Im Maße ihre Mitgliederzahl zunahm, musste sie sich neu organisieren und strukturieren. Sie tat es nach dem Vorbild der römischen Herrschaftssysteme. Diese waren monarchisch, fürstlich und obrigkeitlich gegenüber dem gehorsamen und untertänigen Volk. Im Laufe des Mittelalters entwickelte sich die Kirche immer mehr zu einer päpstlichen Monarchie, mit Fürstbischöfen als mittlere Instanzen gegenüber dem Volk. Auch die Liturgie gestaltete sich nach dem Vorbild höfischer Zeremonien, was in der Renaissancezeit einen Höhepunkt erreichte und bis heute in Pontifikalämtern und päpstlichem Palastgepränge anhält.

Auf vielen Wegen und Umwegen ist die Kirche Roms also so etwas wie ein übernational organisiertes Staatsgebilde geworden. Allerdings mit religiösem Anstrich – sich immer wieder auf den Mann aus Nazaret berufend. Allerdings ist von diesem Mann, auf den es ankommt, bei den Feierlichkeiten eines feudalen Systems z.B. gegenwärtig in Bayern sehr wenig zu spüren. Seltsam genug, wie dieses mittelalterliche System heute die Massen wieder anzieht. Wegen wachsenden Misstrauens gegenüber den Demokratien? In exotischer Erinnerung an frühere Jahrhunderte? Oder was suchen die Menschen? Ereignisse, Personen, Anknüpfungspunkte, an denen sie sich orientieren können, an denen sie ihre Illusionen von einer "heilen Welt" und einem baldigen Erlöser festmachen können?...

Wenn die festliche Stimmung auch schon am nächsten Tag wie im Wind verflogen ist - es bleibt die stolze Erinnerung, dabei gewesen zu sein. Ein tieferes Verständnis für Glaube und Kirche wird bei solchen Happenings jedenfalls nicht geweckt. Selbst wenn es erreicht würde: was wäre das für ein Verständnis? Welches Glaubens- und Kirchenverständnis wäre dann vertieft worden: das von Jesus von Nazaret? Kaum zu glauben!

2. "Die im Dunkeln sieht man nicht".

Im Blick auf die sozialen Verhältnisse seiner Zeit hat Bert Brecht die Sätze formuliert: "Die einen sind im Dunkeln und die anderen im Licht. Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht". –

Solche Sätze könnten auch in der Bibel stehen, in jenem Buch, welches von den ersten Zeugen der Offenbarung Jesu geschrieben wurde. Das Revolutionäre dieses Buches besteht darin, dass es die aufsuchen wollte, die im Dunkeln sind, die man normal nicht sieht. Der Apostel Jakobus beschreibt z.B. die Wichtigkeit und Wertlosigkeit von Gottesdiensten: wenn jemand das Wort Gottes hört, aber nicht danach handelt. "Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott ... besteht darin: für die Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind" (Jak 1.27).

In der Gerichtrede Jesu ((Mt 25.31-46) sind nicht diejenigen die ersten, die dies meinen und für sich beanspruchen, sondern diejenigen, die Hungrige speisen, die Fremde und Obdachlose beherbergen, die Nackte bekleiden, Kranke besuchen und Gefangene in ihrer Unfreiheit nicht allein lassen... Darin besteht der "wahre Gottesdienst": "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 24.40).

Das AT und Nt sind voll von der Weisung, dass das wohlgefälligste Verhalten vor Gott der Dienst am Menschen ist. Die es begreifen und tun, stehen im krassen Gegensatz zu den Anmaßungen von Menschen, die meinen, Gott mit schönen Worten und aufwändigen Gesten betören zu können. "Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden... Sie haben ihren Lohn bereits erhalten" (Mt 6.5).- Im übrigen: "Hütet euch vor den falschen Propheten" (Mt 7.15), den Pharisäern und Schriftgelehrten, die sich auf den Stuhl des Moses gesetzt haben. "Tut und befolgt, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen... Bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi (Meister) nennen" (Mt 23.2-12).-

Das Evangelium ist allergisch gegenüber denjenigen, "die sich selbst erhöhen" und wie "blinde Führer" agieren, um die Menschen für "ihren (menschengemachten?) Glauben" (Mt 23.15) zu gewinnen. Das Schlimme besteht darin, dass sie bei aller Selbsterhöhung die Kleinen und die Bedeutungslosen so erniedrigen, dass sie im Spektrum ihrer Religion keine entscheidende Rolle spielen. In Wirklichkeit gibt die Botschaft Jesu gerade den Kleinen, den Schwachen, den Unmündigen... eine Chance – allerdings nicht im Blick auf die unterdessen menschengemachte "Kirche", sondern im Blick auf das "Reich Gottes". In Form von kleinen Schritten und Taten wird darin jeder Mensch wichtig. Die ewige Frage also, welche christliche Kirche sich am meisten evangeliumsgemäß und am ehesten "Kirche" nennen darf, läßt sich nur so beantworten: Diejenige, die Voraussetzungen und Strukturen schafft, dass gerade die Kinder, die Mühseligen und Beladenen (Mt 11.28) zum Zuge kommen. Sie verstehen am meisten vom Leben und vom "unerlösten Dasein". Deshalb vermögen sie am besten auf den hinzuweisen, der erlöst...

3. Was "retten" für die Zeit danach?

Bisweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass schon bald – nach einer Zeit triumphaler kirchlicher Festlichkeiten – eine Zeit großer Ernüchterung eintreten wird. Dann wird der Niedergang, den man allzu lange zu vertuschen und zu ignorieren imstande war, nicht mehr zu leugnen sein. Es scheint eine Zeit anzubrechen, die die der biblischen Epoche nicht ganz unähnlich ist. Man wartete damals auf die baldige Wiederkunft des Herrn. Deshalb brauchte man sich auch nicht um "weltliche Angelegenheiten" zu kümmern. Man konnte leicht Haus und Hof verlassen; denn die "Parusie" stand unmittelbar bevor. Als diese dann ausblieb, mussten sich die Christen viel zentraler mit faktischen Verhältnissen beschäftigen, die sie vorher nur "nebenbei" als wichtig angesehen hatten: Werke zu tun, die dem Sämann gleichen; Sauerteig zu werden und Licht der Welt – als Vorbereitung auf das, was einmal kommen sollte: das Leben in Fülle; die vollendete und erlöste Welt. –

Wenn sich eines Tages herausstellt, dass päpstliche Festivals nicht jene hervorragenden Früchte zeitigen, die man sich erhoffte; wenn eines Tages der kirchliche Niedergang nicht mehr zu leugnen ist, dann stellt sich die Frage, die Vergil bereits beim Untergang des römischen Reiches gestellt hat: was sollen wir mitnehmen aus den Gräueln der Verwüstung? Wenn man dem Propheten Micha Recht geben will, werden diejenigen so fragen, die zur "Sammlung der zerstreuten Herde" gehören; die am "Ende der Tage" für den "Berg des Herrn" bestimmt sind. Denn an jenem Tage – Spruch des Herrn – "mache ich die Hinkenden zum (heiligen) Rest und die Schwachen zu einem mächtigen Volk" (Micha 4.1-7).

In der Ausgabe vom 9. September 2006 schrieb die Rheinzeitung über den Papst in Bayern: "Sein großes Thema bleibt die Gottesferne der Moderne, die wachsende Gleichgültigkeit den Kirchen gegenüber. Dem hat Benedikt XVI. außer seiner Unerschütterlichkeit im Glauben bislang wenig entgegenzusetzen vermocht....". –

Es wäre heilsam, ginge der Papst beim Propheten Micha in die Schule. Zwar ist die Zeit der Erfüllung der "Verheißungen für Zion" noch nicht gekommen. Aber der Papst steht in dessen Vorbereitung und Pflicht. Ihm ist es aufgegeben, das Leben vor dem Ende "christlich" zu bewältigen und das "Elend der Kirchen" zu überwinden. Das dürfte – im Gegensatz zur päpstlichen Grundeinstellung – nur durch die Überwindung einer Theologie gelingen, die von abstrakten Begriffen wie "Wahrheit", "Realität", "Objektivität" ... bestimmt wird. Diese hat allzu konsequent die Vielfalt der Glaubenswege vernichtet. Ihre normativ verbindliche Denkweise hat – durch das Ignorieren des Konkreten und jeweils Besonderen – die Vielfalt des Lebens zerstört. Durch objektivierende "Theologisierung" der Lebenswege und "Verkirchlichung" von Glaubenseinstellungen hat sie sich bei vielen Menschen überflüssig gemacht. Sie hat die Gottvergessenheit der Moderne durch Menschenvergessenheit selbst produziert.

Durch "Festivals" wird dieser Mangel kaum aus der Welt zu schaffen sein. Bei allen kirchlichen Festlichkeiten ist es also höchste Zeit, danach zu fragen, was es zu "retten" gilt für die Zeit danach. Vielleicht doch das, was der Prophet Micha sagt? Sonst könnte sich das "Elend der Kirchen" schon bald als tödlich erweisen.

 


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