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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (13):
Die Kirche: Hinter tausend Stäben keine Welt.

Januar 2010

Wenn ich an den schrumpfenden Einfluss der Kirche denke – nicht verursacht durch das Konzil, sondern durch die frühere Minderheit, die es verhinderte - , geht mir das Bild vom Panther durch den Kopf, wie es von R.M. Rilke geschildert wird: Im Käfig gefangen, dreht er sich im allerkleinsten Kreise. Es ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Sein Blick ist beim Vorübergehen der Stäbe müde geworden. "Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt". –

Der Zustand der Kirche gleicht dem des Panthers. Er gleicht dem Tanz um eine Mitte, die sie selber ist. Bei allen Diskussionen – immer geht es um "Kirche": ihre Ämter, ihre Sakramente, die unterschiedliche Interpretation widersprüchlicher Konzilstexte, um die in die "heile Vergangenheit" ausgerichtete "Restauration", um die Pius-Bruderschaft usw. Der Kölner Arzt und Psychotherapeut Manfred Lütz schlägt vor: "Wenn man nur einmal probeweise aus den üblichen innerkirchlichen Debatten über Zölibat, Frauenpriestertum, Sexualmoral und die päpstliche Unfehlbarkeit aussteigen würde und auf die wirklich existentiellen Fragen, die die Menschen haben, antworten würde, dann könnte man die Gunst der Stunde nutzen". –

Was in diesem Vorschlag nicht zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, dass das Konzil und die darauf folgenden Synoden genau das getan haben: sie haben die "Gunst der Stunde" genutzt. Sie haben mündig gewordene Christen ("Wir sind Kirche") zur Mitwirkung an der Gestaltung gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens zusammengerufen. Dabei hat allerdings die "Amtskirche" die Erfahrung machen müssen, dass sie keine Antworten geben kann "auf die wirklich existentiellen Fragen, die die Menschen haben". Denn mit Lebenserfahrungen konfrontierte Menschen begeben sich selbst auf die Straße des Fragens und Antwortsuchens, statt von irgendwoher allgemein gültige Antworten zu erwarten.

Zur Zeit des Konzils bestand die "Gunst der Stunde" in der Zuversicht, dass Christen eigenes Denken und Urteilen zugemutet werden kann. Sie bilden heute die wachsende Mehrheit von Christen, die "jenseits von tausend Stäben" leben. Eine Kirche, die sie nicht zu hören und zu verstehen vermag, wird selbst Ursache der "Entkirchlichung". "Kirche" entsteht dann überall dort, wo Menschen sich "in Seinem Namen" zusammenfinden.


1. Gottes Wirkfeld ist "jenseits der tausend Stäbe".

Wahrscheinlich besteht der größte "Sündenfall" der Kirche darin, dass sie sich schon sehr früh mit sich selbst beschäftigte (und wohl auch beschäftigen musste): mit der Organisation der zum Christentum Bekehrten, mit ihrer Theologie und Lehrmeinung, mit ihren Ämtern und Sakramenten… Die fixe Idee vom "neuen auserwählten Volk Gottes" ließ sie kaum noch hinter die tausend Stäbe schauen, hinter denen sich das Leben der Menschen abspielt. Und hinter denen Gott schöpferisch tätig ist – nämlich bei den Menschen.

Wer solche grundlegenden Perspektiven versäumt, kann dann nur noch von der "allein selig machenden Kirche" reden und den Menschen "Heils-Angebote" machen, ob sie sie annehmen oder nicht. Im Gegensatz dazu richtete die Predigt Jesu den Blick auf konkrete Lebens- und Bewährungssituationen. Die Menschen sollten lernen – statt "Angebote" in Empfang zu nehmen -, die Liebe und die "neue Gerechtigkeit" zu praktizieren. Bei solch "erlösendem Mitwirken" mit Gottes Gnade - für und mitten in der Welt - gab es weder Mann noch Frau, weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie…"(Gal 3.26ff). -

In diesen und anderen Texten des Alten und Neuen Testamentes (vgl. Röm 8,18-30; Kol 1.12-20) wird deutlich, dass das Wirken Jesu mit einem "ewigen Heilsplan" seit der Schöpfung zu tun hat. Nach Paulus sind auch die Heiden Miterben Christi. Sie gehören "zu demselben Leib und nehmen an derselben Verheißung in Christus Jesus teil". Durch die Christen sollen sie "Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes", die von Ewigkeit her in Gott verborgen war und in Christus Wirklichkeit geworden ist…(vgl. Eph 3,1-13).

In der ganzen Menschheitsgeschichte – angefangen bei der Erschaffung der Welt, dem Sündenfall von Adam und Eva bis zu den Tagen, in denen Gott Mensch wurde, um der "Erstgeborene einer neuen Schöpfung" zu sein (Röm 8.29; Kol 1.15) – ist also das Geheimnis Gottes latent grundgelegt. Christen und christliche Gemeinden haben den Nichtchristen und Heiden das Geheimnis Gottes offenbar zu machen: es geht um die zu erlösende und zu heilende Welt und Menschheit. Unabhängig von Weltanschauung, Religion, Stand, Geschlecht, Alter und sozialer Zugehörigkeit sollen alle Menschen das "gottgemäße Leben" lernen. Den Getauften, anstatt sich in eigenen kirchlichen und theologischen Mauern einzumauern, muß es primär wichtig sein, stets die eigenen Mauern zu überspringen und Kontakt zu suchen zu dem, was Gott in den Menschen gewirkt und an Spuren hinterlassen hat. Vom Evangelium her ist das weniger durch gescheite Lehren und hochtrabende Parolen möglich, als vielmehr durch ein gelebtes Zeugnis, welches Andersgläubige teilnehmen lässt am Leben in Liebe und Gerechtigkeit.

Die Aufgabe, die sich aus der Botschaft Jesu ergibt, besteht also primär nicht darin, abgekapselt von der Welt ein "auserwähltes Volk Gottes" zu sein, eigene Hierarchien und geistliche Ämter zu schaffen, Sakramente zu spenden, um so das Wachsen und Überleben der Kirche zu sichern. Alle solche Maßnahmen und Initiativen bekommen nur Sinn und Existenzberechtigung, wenn es Getaufte durch sie lernen, "Salz der Erde" und "Licht der Welt" zu sein. Wo Kirche "restaurativ" an sich selber arbeitet, zeigt sich ihre naive und erschreckende Unfähigkeit, die Spuren des Wirkens Gottes in anderen Religionen und Weltanschauungen zu entdecken. Anstatt Zusammenarbeit, bleibt dann nur der Auftrag zur Bekehrung in eine angeblich fertige heilige Kirche oder die Abkapselung gegenüber Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – als liberal, säkular, atheistisch oder marxistisch bezeichnen.

2. Die heilige Schrift ist nicht auf "Elitebildung" bedacht.

Bei den vielen Predigten und Katechesen, mit denen die Gläubigen in der Kirche konfrontiert werden, stellt sich immer wieder die Frage: was bleibt davon hängen? "Extrem wenig religiöses Wissen", behaupten die Fachleute. Dennoch, wie mir scheint, haben sich im Bewusstsein der Christen zwei verschiedene Vorstellungen von "Glaube" festgesetzt bzw. sind dabei, sich zu entwickeln. Die erste ist den Kirchgängern am meisten eingehämmert worden: Der Glaube an die Kirche. Er beinhaltet ihre Lehre, ihre Ämter, ihren Kult und die Sakramente. Die Vorstellung, das "neue auserwählte Volk Gottes" zu sein, macht die römisch-katholische Kirche zur "allein selig machenden". Außerhalb von ihr gibt es kein Heil. Andere müssen sich zu ihr bekehren und – falls schon christlich – dürfen sie sich "im eigentlichen Sinne" nicht "Kirche" nennen.

Die "Krise der Kirche" in der heutigen Zeit ist eine Krise des Glaubens insofern, als dieser kirchlich festegesetzte Glaube im Schwinden ist. Im "multireligiösen Umfeld" angelangt, glauben die Menschen immer weniger an einen von Institutionen festgelegten Gott. Oder an Gottesbilder, die sich immer wieder "anpassen": einmal der strafende, dann der allwissende, dann der beobachtende, dann der liebende Gott… Der Zustand des Desinteresses an Katechismen und Lehrmeinungen ist erreicht. Die Sakramente sind dekoratives Beiwerk geworden zu familiären und gesellschaftlichen Feiern. Die großen Feiertage, so beliebt sie auch noch sind, prägen das Leben nicht.

Was von der Institution Kirche "angeboten" wird, bewirkt den Eindruck einer "Glas-Glocke", die über das Leben übergestülpt wird. Sie bewahrt Vieles vor allzu schneller Fäulnis, sprich "Verweltlichung". Aber sie kapselt den Menschen auch ab in einem "religiös-kirchlichen Raum", in einem "übernatürlich geprägten Milieu", in dem so etwas stattfindet wie Gewissenberuhigung oder auch eine "Abfindung Gottes" – äußerlich sichtbar in Wallfahrten und anderen Formen der Frömmigkeit.

Ohne dass dies von der "Amtskirche" bewusst zur Kenntnis genommen wird, hat sich – jenseits der 1000 Stäbe – ein anderes Glaubensverständnis entwickelt, welches dem alltäglichen Leben Sinn und Orientierung geben könnte, wenn ihm die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt würde. Man könnte es auf die Formel bringen: Mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen; dann zeigt dir Gott, wer du bist, was du zu tun und zu lassen hast!

Die Frage des zu Christus bekehrten Paulus: "Herr, was willst du, das ich tun soll"? (Apg 9.6; 22.10), finden heute viele Menschen beantwortet in der Bergpredigt: Selig, die keine Gewalt anwenden; die Frieden stiften; die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten; die Barmherzigkeit üben (vgl. Mt 5.3-12).- Oder in der Gerichtsrede Jesu: Hungrige speisen, Fremde und Obdachlose beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangenen Mut zusprechen…(vgl. Mt 25.31-46).- Oder in der "Goldenen Regel": Alles, was ihr von anderen erwartet, tut auch ihnen! (Mt 7.12). -

Religiöse Autoritäten, die ihren philosophischen Glauben (der vielleicht kein christlicher mehr ist!) weitgehend im "Übernatürlichen", "Mysteriösen" oder "Magischen" verwurzelt sehen, haben oft kein Verständnis für solche Perspektiven, weil sie zu weltlich-"horizontal" sind. Obwohl die hl. Schrift auf jeder Seite Anstöße gibt zum "Tun der Wahrheit" im Blick auf Kinder, Jugendliche, Kranke, Ausgestoßene, Vergewaltigte, gesellschaftlich Verelendete und sozial chancenlos Gebliebene, werden sie, aus der Sicht des "Übernatürlichen", eher als "bloßer Humanismus" abgetan. Und doch hat Jesus all das Gute, was von Menschen im Kleinen getan und veranlasst wird, als "Samenkorn" für das Werden und Wachsen des Reiches Gottes aufgewertet, als "Salz der Erde", als "Licht der Welt".

Dahinter steckt eine Ermutigung und Ermächtigung Gottes. Allen Menschen ist es aufgegeben, die Dinge des Lebens und des Alltags so zu tun, dass es für andere zum Segen, nicht zum Fluch gereicht. Denn was auch immer durch Menschen geschieht – es kann fülliges Licht in die Welt bringen oder geistige Hohlheit, Friedfertigkeit oder Aggression, Vorbildlichkeit im Guten oder die gefährliche Tendenz zu Gewalt und Menschenverachtung. Nicht mit leeren Worten und hohlen Phrasen, sondern durch die Art und Weise, wie sich Christen in Lebenssituationen verhalten, "soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5.16; 1 Petr 2.12). -

3. Die größte Sünde besteht in der "Vereinnahmung" Gottes.

Religiöse Menschen leben immer in der Versuchung, Gott durch Sätze und "Lehren", durch Rechthabereien und eigene Überzeugungen, durch nicht zugegebene Interessen für sich in Anspruch zu nehmen. Sie sprechen von "Wahrheiten", die sie leider nicht pur vom Himmel erhalten haben. Deshalb sind es immer auch menschliche Wahrheiten. Wenn deren Relativität und Vorläufigkeit abgestritten wird, entsteht ein Lebensstil der Selbstbefriedigung und Selbstbestätigung. Dass Gott es sich nicht nehmen lässt, auch "außerhalb der 1000 Stäbe" tätig zu sein, wird dann für die Wahrheitshüter zum Anlass dauernder Verdrängung und Nichtbeachtung. Einer solchen Kirche wird es in Zukunft immer schlechter gehen. Denn sie kümmert sich allzu sehr um ihre eigenen "heilswirksamen" Abläufe und wartet darauf, dass alle Völker zu ihr kommen…Die "Zeichen der Zeit" als Stimme und Herausforderung Gottes werden eher als Störmanöver missachtet…

Wo Menschen sich auf den Weg des eigenen Fragens und Suchens begeben, da bilden sich christliche Gemeinschaften und Zusammenkünfte. Sie entstehen heute tausendfach in der Welt. Statt sich aufzusplittern oder sich gegenseitig zu bekämpfen, muß man ihnen immer wieder das "Einheitsband im Glauben" in verbindliche Erinnerung rufen: "Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer" (Röm 13.8).
 


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