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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (15):
Jesus hat Vieles falsch gemacht.

April 2010

So sagen es die Moslems. Denn Jesus habe – im Gegensatz zu Mohammed 600 Jahre später – nichts Schriftliches hinterlassen. Als großer Prophet habe er viel Gutes getan, Wunder gewirkt und eine Botschaft hinterlassen, die von seinen Jüngern und Anhängern aber falsch verstanden und unterschiedlich weiter gegeben worden sei. So sei das schier Unverständliche passiert, dass es verschiedene Schriften des Neuen Testamentes gibt. Es sei unmöglich, dass sich Gott, der sich offenbart, auf so verschiedene Weise gegenüber den Menschen zu Wort meldet!

Ähnlich sei es mit den Offenbarungen Gottes an Abraham ergangen. Auch diese seien verfälscht an die Nachwelt weiter gegeben worden. So musste sich Gott noch einmal endgültig und eindeutig offenbaren. Das geschah durch Mohammed. Dieser hat die Offenbarungen Allahs laut und deutlich vor sich hergemurmelt, so dass seine Schreiber sie gleich aufschreiben konnten. Durch Mohammed sind also die Offenbarungen Allahs zum ersten und letzten Mal unverfälscht in der Menschheit erhalten geblieben. Der Islam ist deshalb die letzte und wahrste Religion.

Wenn sich Moslems bis heute in der Mosche zum Gebet treffen, murmeln sie dieselben Koranverse, wie Mohammed es getan hat. Sie nehmen auf diese Weise die Gedanken Allahs unverfälscht in sich auf. Es entsteht eine "communio", eine Identität und Gemeinsamkeit zwischen den Gedanken und Geboten Allahs und denen der Menschen. Weil im Koran die unfehlbaren Gedanken Allahs fest geschrieben sind, darf kein Buchstabe daran geändert werden. Den Moslems darf auf keinen Fall das Unglück der Verfälschung passieren, wie es bei den Juden und Christen geschehen ist. Punkt und Komma der Offenbarung Allahs müssen für alle Zeiten durch gläubige Moslems erhalten bleiben bis zu dem Tag, an dem sich Juden und Christen zum Islam bekehren...


1. Das Christentum: eine Religion der freien Bindung und Verpflichtung.

Verstehen kann man das Problem der Moslems. Jesus hat durch seine Worte und Taten, schließlich durch seinen grausamen Tod und seine Auferstehung, Bewegung und Aufregung in die damalige Welt gebracht. Er hat nichts Schriftliches hinterlassen. Einige Jahrzehnte wurde überhaupt nichts aufgeschrieben. Auch die ersten christlichen Gemeinden taten es nicht. Sie waren eher mündliche Traditionsgemeinden. Bei ihren Versammlungen hielten sie erzählend die Ereignisse um Jesu Leben und Tod in Erinnerung. Offensichtlich waren die Erinnerungskapazitäten der einzelnen unterschiedlich, so dass in den Gemeinden ein verschiedener Geist wehte. Unterschiedliche Prioritäten wurden gesetzt. Erst in den Jahren 50 bis 100 nach Christus haben sie in den verschiedenen Evangelien ihren schriftlichen Niederschlag gefunden.

Der Islam geht davon aus, dass notwendige "Korrekturen" und Eindeutigkeiten später durch Mohammeds Koran geschaffen worden sind. An den Äußerungen der Moslems über das Christentum ist auf Anhieb der riesengroße Unterschied zwischen beiden Weltreligionen zu erkennen: der Islam versteht sich im strengen Sinne als Buchstaben- und Schriftreligion; das Christentum ist eine Religion freier Entscheidung für oder gegen die Person Jesu, die vom Islam als "großer Prophet" eingestuft und akzeptiert wird. Weil er jedoch keine eindeutigen Klarheiten hinterlassen hat, ist er nur "Vorläufer" des letzten und größten Propheten, den es je gegeben hat, geblieben: Mohammed.

Jesus hat also keine eindeutigen Schriften hinterlassen. Tatsächlich hat er kein Glaubensbekenntnis geschrieben, keine Lehre formuliert, keine heilige Liturgie vorgefertigt, keine unfehlbaren Wahrheiten festgelegt. Offensichtlich sollte es der Kirche vorbehalten bleiben, in Schrift und Lehre Zweifelsfreiheit zu schaffen. Unter den Voraussetzungen der ersten Jahrhunderte tat sie es. Sie organisierte sich – vor allem als "Staatsreligion" seit dem 4. Jahrhundert – nach staatlichem Vorbild. Um das Christentum denkerisch zu bewältigen, nahmen sich vermehrt die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte die griechische, vor allem die platonische Philosophie zur Hilfe. Durch sie hat das Christentum bis heute eine große Blütezeit erlebt. Sie haben Jesus als "wahren Menschen", der zugleich "wahrer Gott" ist, erkannt – eine Person in zwei Naturen: einer menschlichen und einer göttlichen. Sie haben die Lehre der hl. Dreifaltigkeit formuliert – Geheimnis des Glaubens. Sie haben auf diese Weise die "einzig wahre Religion" zur Ausbreitung gebracht und ein Glaubensbekenntnis geschrieben, welches in unzähligen Traktaten und Büchern ausformuliert ist.

Ich denke in diesem Augenblick an das buddhistische Kloster in Thailand, in dem ich vor Jahren einige Tage zu Gast war. In der Klosterbibliothek fand ich kein einziges theologisches Standardwerk über das Christentum, wohl aber Bücher über christliche Mystiker: über Meister Eckehard, Theresia von Avila, Johannes vom Kreuz, Heinrich Seuse... Auf meine Frage, warum die großen christlichen Theologen nicht vertreten seien, wurde mir geantwortet: mit Gedankenspekulationen kommt man Gott nicht näher! Der größte Fehler der Abendländer besteht in der irrtümlichen Meinung, das Christentum verstanden zu haben. Sie verstehen es philosophisch und "spekulativ". Deshalb verstehen sie es nicht. Auf solche Weise kommt man Gott nicht näher. Aber auch den Menschen nicht...

Wie hätte sich das Christentum wohl entwickelt, wenn es sich von Anfang an nach Asien ausgebreitet hätte? Wie muß es sich heute entwickeln in einer Welt, die sich vom griechischen Geist immer mehr entfernt?

2. Das Christentum: auf "Menschennähe" angelegt.

Wenn heute, in einer human- und naturwissenschaftlich orientierten Welt, Vieles in die Brüche zu gehen scheint, muß die Frage erlaubt sein: war es überhaupt im Sinne Jesu, seine "Mängel" und "Versäumnisse" auf kirchliche bzw. philosophisch-griechische Weise zu "korrigieren"? Wollte er das Christentum als eine Experten- und Spezialistenreligion, die über die Köpfe der meisten hinweg "unfehlbare Wahrheiten" formuliert? Mit der heute offenkundig gewordenen nüchternen Erkenntnis aus der Geschichte, dass Wahrheitsansprüche die Menschheit mehr spalten als einen; dass sie eher kriegerisch als Frieden stiftend sind?

Das Christentum der Kirchen mit ihren theologischen Erkenntnissen auf hohem Niveau kann man mit einem wunderbar in der Sonne aufsteigenden Luftballon vergleichen. Die darin sitzen, können nur entzückt sein über den Höhenflug und die wunderbaren Ausblicke. Die meisten, die nicht darin sitzen, müssen sich mit ein paar Photos begnügen, die von oben nach unten verschickt werden und die den Eindruck vermitteln, dass das das Fliegen im Luftballon eine herrliche Sache sein muß. So wird von oben nach unten die "frohe Botschaft" verkündet an Menschen, die in der Bewältigung banaler alltäglicher Aufgaben stehen. Gegenüber ihnen sollte eher von einer anstrengenden Botschaft gesprochen werden. Schließlich endete sie zunächst am Kreuz...

Dass das "Tun der Wahrheit" nicht einfach ist, vermittelt das Evangelium. Es zeigt, dass Jesus nichts anderes getan hat als Menschen mit ihren Gaben und Fähigkeiten zu ermutigen, in einer oft sündhaft-egoistischen und selbstherrlichen Welt etwas Heilsames und Erlösendes zu bewirken. In seinen Gleichnissen und Wundern hat er immer wieder exemplarisch deutlich gemacht, "wie man das macht?": die Liebe, die Gerechtigkeit, die Achtung vor dem Nächsten... konkret zu leben. Dabei knüpft er an das an, was im Menschen "von Natur aus" angelegt ist. Denn jedem Menschen und jeder Gemeinschaft muß es um die Liebe gehen, um Versöhnung, um Friedensbereitschaft, um Gerechtigkeit und Toleranz. Ohne solche Werte wird menschliches Zusammenleben zu einer Qual.

Das "Neue" in der Botschaft Jesu besteht also nicht darin, dass die Liebe und die Aufgabe zum Frieden erst mit Jesus beginnt. Alles ist schon in der menschlichen Natur ("naturaliter christiana") vorgegeben. Das Vorgegebene bekommt in den Worten und Taten Jesu exemplarische Vorbildlichkeit. Alles Gute, was durch Menschen geschieht, wird in einen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Jedes noch so unscheinbare Tun im Sinne Jesu ist wie ein Samenkorn, welches in die größere Zukunft Gottes hineinwächst. Deshalb ist der Mensch mit seinen zu entfaltenden Gaben und Fähigkeiten nicht nur Hörer einer Botschaft, sondern vor allem Mitgestalter dessen, was Gott mit seiner Welt und Schöpfung auf Zukunft hin zu tun gedenkt.

Allerdings ist das Evangelium realistisch genug zuzugeben, dass alles Wertvolle und Kraftvolle in der Welt immer auch gefährdet ist. Sünden und Versagensgeschichten gehören seit Adam und Eva zum Leben dazu. Die Fähigkeit zu lieben kann allzu schnell in Eifersucht, Prahlerei, Egoismus und Machtausübung über andere ausarten. Die Notwendigkeit der Einübung ins Christentum bzw. in die Wertvorstellungen des Evangeliums kann sich schnell in ihr Gegenteil verkehren. Deshalb der dauernde Ruf nach Umkehr und Neubesinnung. "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt" (Mt 7.21). -

Im Blick auf solche und ähnliche Aussagen stellt sich die Frage: Wer erfüllt denn den Willen des Vaters? Wird er am meisten von Kirchgängern erfüllt? Sind im Verlauf der "Verkirchlichung" der biblischen Botschaft die Kirchgänger die Privilegierten, die Gottes Weisung am besten befolgen? Oder könnte es sein, dass die Anliegen des Evangeliums längst kirchliche und konfessionelle Mauern durchbrochen haben, so dass es in allen Religionen und Kulturen mittlerweile Menschen gibt, die Friedensstifter sind, die für die Gerechtigkeit kämpfen, die die Bergpredigt leben? Durch die Vereinnahmung des Wirkens Gottes in der Menschheit durch die Kirchen könnten Maßnahmen ergriffen worden sein, die die Welt eingrenzen (wollen) auf die Grenzen der Kirche. Umgekehrt müsste es sein: in einer ständigen Auseinandersetzung mit den "Zeichen der Zeit" die Grenzen der Kirchen ausweiten auf die Grenzen der Welt!

Viele Entwicklungen sprechen heute dafür, dass das Ende der herkömmlichen Kirchen gekommen ist. Gott ist größer als alle kirchlichen Konzepte. "Evangelisierung" kann auf Zukunft hin nur Bestand haben, wenn das im Menschen und in der Menschheit Angelegte ernst genommen, gereinigt, gestärkt und auf einen Größeren hin orientiert wird. Kirchen sind nicht für sich selber da. Sie stehen in einem größeren Auftrag.
 


Letzte SeitenÄnderung: 06.10.2010.
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